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Schlaf- und Beruhigungsmittel

Gefährlich erfolgreich

Bei dieser Gruppe von Medikamenten handelt es sich um chemisch verwandte Stoffe, die alle Abkömmlinge des berühmten Chlordiazepoxid (Librium) sind. Nach seiner Entwicklung bei der Arzneimittelfirma ROCHE wurde dieses Mittel erstmals 1960 erfolgreich eingesetzt. Im Jahre 1963 folgte Diazepam (1/alium). Heute gibt es ungefähr ein Dutzend verschiedene Grundsubstanzen mit über dreißig verschiedenen Markennamen.

Diese Medikamente werden mit den Oberbegriffen Tranquilizer oder Benzodiazepine bezeichnet.

 

Mamas „kleine Helfer“

Die Wirksubstanz wird als Tablette, Tropfflüssigkeit, Injektionsflüssigkeit oder als Zäpfchen in den Körper eingeführt. Dort verbindet sie sich mit den Nervenzellen eines bestimmten, eng umschriebenen Bezirks im Gehirn und verändert diese Zellen.

Der für Tranquilizer empfindliche Gehirnbereich liegt in dem Teil des Gehirns, in dem die Gefühle und Stimmungen beeinflußt werden. Die Oberfläche der Nervenzellen in diesem Bezirk des Gehirns ist so beschaffen, daß sie sich nur mit den verschiedenen Varianten des Benzodiazepins verbinden. Es wird deshalb vermutet, daß der Körper Stoffe produziert, die die gleiche Wirkung wie die Tranquilizer haben.

Der Stoff wurde bisher jedoch noch nicht gefunden.

Das Medikament hat sich nach seiner Einführung schnell zu einer Modedroge entwickelt. Bereits 1975 waren über eine Million Amerikaner von dem Medikament abhängig (Mamas little helpers). Nach intensiven öffentlichen Warnungen ist der Verbrauch inzwischen auf die Hälfte der damaligen Menge zurückgegangen.

 

Beruhigende Wirkung

Diese Medikamente werden bei Patienten mit innerer Unruhe oder mit krankhaften Erregungszuständen eingesetzt. Sie wirken angstlösend und bei manchen Menschen kommt es auch zu einer Aufhellung einer depressiven Verstimmung. Gleichzeitig wirken sie leicht beruhigend – ohne gleich müde zu machen. Dies war seinerzeit ein großer Fortschritt gegenüber den damaligen Medikamenten (Meprobamat). Sogar Dosierungsfehler schienen ausgeschlossen, da man auch bei versehentlicher Einnahme der zehnfachen Dosis noch nicht in Lebensgefahr ist.

 

Gesteigerte Gefahr

Die Wirkung der Tranquilizer ist auch gleichzeitig ihre akute Gefahr. Durch die Angstlösung kann es zu leichtsinnigen Verhaltensweisen im Straßenverkehr oder am Arbeitsplatz kommen: „Mir kann ja nichts passieren“. Bei Depressiven verschwindet die Hemmung vor der Selbsttötung. Deshalb gilt es heute als ärztlicher Kunstfehler, einem Depressiven Benzodiazepine zu geben.

In Verbindung mit Alkohol oder Opiaten werden die Tranquilizer zu einem unberechenbaren Gift: Nun genügt manchmal schon das Doppelte der empfohlenen Dosis, um das Atemzentrum stillzulegen. Darüber hinaus ist es nicht vorhersagbar, wann die tödliche Menge erreicht ist, da diese Grenze bei jedem Menschen anders liegt. Diese Eigenschaft der Benzodiazepine hat in den ersten Jahren zu mehreren spektakulären Todesfällen geführt. (Judy Garland).

 

Langsamer Abbau

Die allmähliche Anhäufung im Körper ist eine weitere gefährliche Eigenschaft dieses Mittels. Es wird (mit Ausnahmen) nur sehr langsam aus dem Körper ausgeschieden. Nach längerer Einnahme dauert es fast drei Wochen, bis im Körper kein Medikament mehr chemisch nachweisbar ist. Das bedeutet, daß bei täglicher Einnahme die neue Dosis zu der Restdosis der Vortage hinzukommt und damit der Arzneimittelspiegel immer höher steigt. Viele Patienten haben deshalb eine falsche Vorstellung davon, welche Menge des Medikaments gerade in ihrem Körper wirkt.

 

Schnell abhängig

In kurzer Zeit kann sich eine seelische Abhängigkeit entwickeln. Bei versuchsweisem Absetzen kommt es zu den bekannten Entzugsanzeichen wie Kopfschmerz, Gereiztheit, Unruhe und Angst. Nach erneuter Einnahme des Medikaments verschwinden die Beschwerden wieder. Die Abhängigkeit von Tranquilizern ist dabei nicht immer mit einer Dosissteigerung verbunden.

Alkoholiker und Opiatsüchtige benutzen dieses Medikament als Ersatzmittel. Siehe auch die Schublade: Medikamentensucht.

 

Die Verantwortung der Ärzte

Anfangs haben die verschreibenden Ärzte und die Hersteller der Substanz einen erheblichen Anteil an der Entwicklung von Abhängigkeit von den Benzodiazepinen gehabt. Der Herstellerfirma wurde seinerzeit auch mehrfach vorgeworfen, wichtige Nebenwirkungen der Tranquilizer zu verschweigen. Obwohl das Verschreibungsverhalten der Ärzte zurückhaltender geworden ist, werden noch immer unvorstellbar große Mengen dieser Präparate eingenommen. Allein in Deutschland wurden zuletzt über 60 Milliarden Tabletten jährlich verordnet.

Es wird wahrscheinlich überwiegend als Mittel gegen die vielfältigen Folgen der alltäglichen Stressbelastung empfohlen und oft auch von den Patienten gefordert. Zur Behandlung der Abhängigkeit von Benzodiazepinen wird zur Zeit neben den bekannten nervenärztlichen Techniken wie Gesprächstherapie und Verhaltenstherapie die Einnahme der neuen Medikamente gegen depressive Erkrankungen empfohlen. Aber auch hier gibt es Bedenken; daß nur die eine Abhängigkeit gegen eine andere eingetauscht wird.

 

Hinweis:

Teile des Inhalts oder etwaige Grafiken entstammen folgender Quelle: www.ginko-stiftung.de